Tierversuche: Mehr Respekt vor der Kreatur (31.01.2015)
«Der Fehler an dieser Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern ist, dass es dort nur noch um die Frage der prinzipiellen Zulässigkeit von Tierversuchen geht. Das ist die falsche Frage. Für den medizinischen Fortschritt sind diese Versuche unverzichtbar. »Das ist die einzig entscheidende Frage! Vollkommen egal, ob diese Versuche für den medizinischen Fortschritt unverzichtbar, verzichtbar, interessant, aufschlussreich, nebensächlich oder was auch immer sind: Die Frage ist, ob es ethisch vertretbar ist, solche Versuche durchzuführen.
Es ist vollkommen klar, dass man nicht immer von nichtmenschlichen Tieren auf den Menschen schliessen kann, die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche hat eine eindrucksvolle Aufzählung von Substanzen, die auf verschiedene Organismen volllkommen unterschiedlich wirken: (Bei Mensch und Tier - das ist die Frage). Dort finden sich auch einige prägnante Beispiele, bei denen Tierversuche zu irrtümlicher Sicherheit geführt haben (Wissenschaftliche Argumente gegen Tierversuche). Es steht also nicht einmal unumstritten fest, dass Tierversuche eine geeignete Methode sind um medizinischen Fortschritt zu erzielen. Wissenschaftlich sinnvoller wäre also wohl der Versuch an anderen Menschen. Wir könnten ja z.B. Waisenkinder aus Entwicklungsländern als Versuchsmenschen nehmen, oder? Sicher könnte man im Brustton der Überzeugung sagen: "Für den medizinischen Fortschritt sind diese Versuche unverzichtbar."
Doch halt! Das kommt wegen der einzig gebotenen Antwort auf "die Frage der prinzipiellen Zulässigkeit"solcher Versuche überhaupt nicht in Frage - dennoch gibt es eine ganze Reihe von ethisch fragwürdigen Versuchen an Menschen, doch das soll hier nicht das Thema sein. Wir sind uns gesellschaftlich im Allgemeinen einig, dass man Menschen nicht nur als Mittel zum Zweck behandeln darf (Dieses Prinzip wird in unserer Gesellschaft allgemein anerkannt und wurde von Immanuel Kant formuliert : „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (Wikipedia)).
Gegenüber nichtmenschlichen Tieren ist es in dieser Gesellschaft hingegen allgemein üblich, sie nur und ausschliesslich als Mittel zu betrachten und zu behandeln. Was berechtigt uns dazu? Können wir eine Ethik schlüssig begründen, die auf dem Prinzip basiert, eine andere Person niemals nur als Mittel zu betrachten, nichtmenschlichen Tieren aber pauschal die Personalität abzusprechen oder aber auch nur das 'Recht als Zweck an sich betrachtet zu werden'?
Ob unser Umgang mit Tieren - sowohl deren Ausbeutung als "Nutz"-Tiere oder deren Quälerei als "Versuchs"-Tiere ethisch zu rechtfertigen ist, ist im Zusammenhang mit Tierversuchen die einzig relevante Frage. Erst wenn wir diese beantwortet haben und zwar mit einer konsistenten und fundierten Begründung bejahen konnten, dann erst und nicht vorher können wir über den Nutzen oder die Unverzichtbarkeit von Tierversuchen diskutieren. Es gibt eine ganze Reihe von Anhaltspunkten in der ethischen Diskussion, dass unser Umgang mit nichtmenschlichen Tieren alles andere als ethisch vertretbar sein könnte.
Es ist also nicht "die falsche Frage". Vielmehr ist die Frage nach dem Nutzen oder der Unverzichtbarkeit von Tierversuchen in der ethischen Diskussion die falsche Frage, zumindest insofern als es nicht die wichtigste Frage ist, sondern nur eine untergeordnete.
«Es gibt den Nutzen tierexperimenteller Grundlagenforschung für die Menschheit. Es gibt aber auch sinnfreie Versuchsanordnungen, für die Tiere unnötig sterben. Unzählige Mäuse werden für medizinische Doktorarbeiten verbraucht, die nur für die Visitenkarte angefertigt werden. In manchen Laboren fehlt es tatsächlich am Respekt vor der Kreatur.»Sollten wir allgemein zu dem Schluss kommen, dass unser Umgang mit nichtmenschlichen Tieren ethisch nicht vertretbar ist, dann geht es nicht nur um Sinnhaltigkeit oder Sinnfreiheit von Versuchsanordnungen, sondern dann sind ggf. alle - die sinnvollen wie die sinnlosen - Tierversuche abzulehnen, zumindest diejenigen, bei denen nichtmenschliche Tiere zu Schaden kommen.
«Notwendig ist deshalb eine verstärkte Debatte über das "Wie" der Tierversuche in der Praxis.»Vielleicht ist auch eine Diskussion "über das "Wie" der Tierversuche in der Praxis" notwendig - alleine um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf dieses Thema zu lenken. Noch viel notwendiger ist allerdings die Diskussion um die ethische Rechtfertigung der Praxis an sich. Zurück zum Beispiel der Waisenkinder aus Entwicklungsländern als Versuchsmenschen: Eine Debatte über das "Wie" einer solchen Praxis wäre klar zu kurz gegriffen. Eine solche Praxis an sich wäre ethisch nicht zu rechtfertigen - gleichgültig was über das "Wie" zu sagen wäre....